Auf dem Weg zur inklusiven Jugendhilfe
Bericht zur BbP-Fachtagung „Kinderschutz inklusiv gedacht“
Kinderschutz für Kinder mit Behinderung ist ein selten betrachtetes, doch dringend notwendiges Thema. Was macht den inklusiven Kinderschutz so besonders? Ist es überhaupt notwendig, den Kinderschutz spezifisch für Kinder mit Behinderung weiterzudenken?
Ziel der Tagung „Kinderschutz inklusiv gedacht“ war es, diesen und weiteren Fragen auf den Grund zu gehen.
Hierzu versammelten sich Pflegeeltern von Kindern mit Behinderung, ausgewählte Vertreter der Fachwelt, sowie Interessierte auf Einladung des Bundesverbandes behinderter Pflegekinder e.V. im Dezember 2022 in den Hoffmanns Höfen in Frankfurt am Main.
Besondere Relevanz hatte diese Tagung für das Projekt „Noteingang“, für das man sich Erkenntnisse für den weiteren Arbeitsverlauf erhoffte. Vorweggenommen kann gesagt werden, dass diese Hoffnung erfüllt wurde.
Fachtagung „Kinderschutz inklusiv gedacht“
Auf dem Weg zur inklusiven Jugendhilfe (PDF)
Eine Nachlese von Alim Khaliq aus dem Magazin Mittendrin 1/2023
Reform der Kinder- und Jugendhilfe
Zusammenfassend zieht der BbP aus der Tagung folgendes Fazit:
Die erhöhte Vulnerabilität von Kindern mit Behinderung liegt auf der Hand. Auch weisen Studien zu dem Themenkomplex Kinderschutz und Behinderung eindeutig darauf hin, dass es sich bei einer Behinderung um einen erhöhten Risikofaktor handelt. Kinder mit Behinderungen können leichter manipuliert werden, ihre Abhängigkeit gegenüber Dritten ist hoch, die Mitteilungsmöglichkeiten sind oftmals eingeschränkt und der Machtunterschied ebenfalls erhöht. Im Rahmen von körperlicher Pflege sind sie häufig in vulnerablen Situationen. Durch ihre Behinderung ist die Gefahr, Gewalt zu erleben, deutlich gestiegen. Umso wichtiger ist es, ihre Belange im Kontext von Kinderschutz in den Blick zu nehmen.
Schutzkonzepte in Pflegefamilien von Kindern mit Behinderung müssen das gesamte Umfeld in den Blick nehmen. Da sich Kinder mit Behinderung zwischen mindestens fünf Sozialgesetzbüchern bewegen, sind Kontakte zu verschiedenen Stellen Alltagsrealität. Selbst im familiären Raum wirken externe Faktoren (bspw. der Pflegedienst, die Haushaltshilfe) ein.
Als weiteren wesentlichen Punkt im inklusiven Kinderschutz leiten wir aus der Tagungsdokumentation ab, dass die Stellung der Pflegeeltern im öffentlichen Auge eine ideelle Aufwertung benötigt. Pflegeeltern berichten häufig von unklarer Rollenverteilung, Unverständnis in Bezug auf weitere Hilfeleistungen und einem ermüdenden „bürokratischen Kampfgeist“, mit dem sie ihre Anliegen und die der Kinder vertreten müssen. Pflegeeltern tragen durch ihr Engagement einen wesentlichen Teil zu dem Recht auf Familie bei, welches durch die UN-BRK normiert ist. Dies gilt es zu würdigen.
Um den Kinderschutz in den Familien gewährleisten zu können, darf auch die Gesundheit der Pflegepersonen selbst nicht außer Acht gelassen werden. Somit sind Entlastungs- und Unterstützungsangebote notwendige Bestandteile eines funktionierenden Kinderschutzkonzeptes.
Abschließend muss in einem selbstreflexiven Prozess die Ebene der Fachkräfte in den Blick genommen werden. Wenn man vermeiden will, dass Schutzkonzepte theoretische Ausarbeitungen sind, die in den Regalen der Behörde verstauben, braucht es eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen sozialpädagogischen Handelns im Kinderschutz.
Nur wenn man kritisch hinterfragt, welcher konkrete Mehrwert für den Kinderschutz geschaffen werden kann, und dabei die Grenzen der eigenen Fachlichkeit akzeptiert, können Prozesse entstehen, die über ein theoretisches Plädoyer hinausgehen. Andernfalls läuft man Gefahr, dass Kinderschutz von Pflegekindern mit Behinderung auf Prozesse, Checklisten und Verwaltungsabläufe reduziert wird, die mehr der Absicherung der Fachkraft dienen als dem Kindeswohl.
Durch die Einnahme eines solchen kritischen Blicks kann die notwendige Demut erlangt werden, die zur Arbeit mit Kindern mit Behinderung notwendig ist. Das Wissen um die eigene Unwissenheit ist ein starker Indikator für Professionalität, da sich nur so neue Möglichkeiten und Horizonte erschließen können, die bisher nicht vorstellbar erschienen
Für das Projekt Noteingang und den Bundesverband behinderter Pflegekinder e.V. wurde nochmal deutlich, dass ein breites Verständnis von Kinderschutz notwendig ist, um dem inklusiven Gedanken gerecht zu werden. Kinder mit Behinderung bewegen sich zwischen mindestens fünf Sozialgesetzbüchern, ihr Wohlergehen ist immer auch von der Art des Kontaktes mit den unterschiedlichen Rechtskreisen und den ihnen zugehörigen Institutionen verbunden. Somit lässt inklusiver Kinderschutz Rückschlüsse auf die Funktionalität unseres gegliederten Sozialleistungssystems zu.
Zu eben dieser Funktionalität werden wir uns in der laufenden Gesetzesreform immer wieder kritisch und im Sinne des inklusiven Kinderschutzes einbringen.