BiP-Stellungnahme zum Referentenentwurf des KJSG

Die Bundesinteressengemeinschaft der Pflegefamilienverbände (BiP) ist das gemeinsame Sprachrohr von PFAD Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien e.V., dem Bundesverband behinderter Pflegekinder e.V. und der AGENDA Pflegefamilien. Wir setzen uns bundesweit für die Belange von Pflege- und Adoptivkindern und ihren Familien ein.

Die über die BiP zusammenarbeitenden Pflegefamilienverbände bedanken sich für die Möglichkeit der Stellungnahme zum Kinder- und Jugendstärkungsgesetz 2020. Das den ehrenamtlich arbeitenden Verbänden zur Verfügung gestellte Zeitfenster mit 3 Wochen, wobei in vielen Bundesländern auch noch Ferien sind, ist sehr sportlich. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass das KJSG schnell ins parlamentarische Verfahren kommen kann.

Wir nehmen insbesondere zu den Positionen Stellung, die Kinder in Adoptiv- und Pflegefamilien betreffen.

Inklusion

Wir freuen uns sehr, dass der inklusive Grundgedanke in hohem Maße durch den gesamten Entwurf getragen wird. Diese Weichenstellung zu einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe ist zu begrüßen. Allerdings sind 7 Jahre, in denen sich erst einmal für behinderte Kinder in Pflegefamilien kaum etwas ändert, eine sehr lange Zeit. Es werden schon jetzt dringend Regelungen benötigt.

Der Dschungel von Zuständigkeiten bzw. Nichtzuständigkeiten ist schon für Eltern behinderter Kinder kompliziert. Wenn jetzt die Kinder in anderen Familien leben, wird es noch unübersichtlicher. Den „Verfahrenslotsen“ sollte es daher zwingend ab Gesetzesverkündung geben, und nicht erst ab 2024.

Den Begriff „Verfahrenslotse“ finden wir wenig gelungen. Es handelt sich hier nicht um ein Verfahren, sondern vielmehr um eine Begleitung und Orientierung. Der Begriff wirkt wenig wertig und lässt vermuten, dass diese Lotsen in einem aktuellen Verfahren nur temporär eingesetzt werden. Zudem besteht Verwechslungsgefahren mit dem Begriff „Verfahrensbeistand“ in Gerichtsprozessen. Wir regen deshalb den Begriff des „Teilhabelotsen“ an, wobei sichergestellt werden muss, dass die klassischen Jugendhilfeleistungen ebenfalls im Blick sein müssen. Das erklärte Ziel muss sein, dass die Fallführung in der Kinder- und Jugendhilfe verortet ist. Nur so sind die Leistungen zwischen verschiedenen leistungsberechtigten Personen bedarfsgerecht zu ermitteln (Kind mit Behinderung, Eltern, Pflegeperson, Geschwister, Einrichtung, …).

Ausführlicher hat sich der BbP mit dem Thema Inklusion besonders mit Bezug auf behinderte Kinder in Pflegefamilien befasst. Hier geht es zur separaten Stellungnahme des BbP.

Kinder psychisch kranker Eltern (Nr. 22)

Wir begrüßen, dass mit dem § 28a die Möglichkeit geschaffen wird, ein Angebot für Kinder psychisch kranker Eltern vorzuhalten. In Kombination mit der Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in § 8 können so niedrigschwellige Hilfeangebote entwickelt werden, die den Kindern und ihren Eltern nutzen. Ausdrücklich begrüßen wir die Formulierung, die für Paten (ähnlich wie für Pflegeeltern) keinen Fachkräftestatus als Voraussetzung benennt. Kindern kann so ein häufiger Wechsel zwischen unterschiedlichen Lebensorten erspart werden.

§ 27 Hilfen zur Erziehung (Nr. 21)

Ausdrücklich begrüßen wir die Klarstellung, dass unterschiedliche Hilfen miteinander kombiniert werden können. Mit dieser Klarstellung erlöscht nicht mehr der Hilfeanspruch von Eltern, wenn ihr Kind in eine Pflegefamilie (oder Formen der Heimerziehung) aufgenommen wird. Diese Regelung verdeutlicht, was bereits seit vielen Jahren in den Kommentaren zum SGB VIII steht, von der Praxis der öffentlichen Jugendhilfe aber leider nur unzureichend zur Kenntnis genommen wurde. Unklar ist, warum an dieser Stelle statt „Hilfen“ in Nr. 21 a die Formulierung „Hilfearten“ verwendet wurde.

Deutlich wird, dass auch Pflegefamilien ergänzende Hilfen zur Erziehung beanspruchen können. Die Kommentierungen (sowohl Frankfurter Kommentar 2019: S. 358ff sowie Hauck SGB VIII 27. Lfg. IV/02 zu K 27) weisen eindeutig darauf hin, dass dieser Rechtsanspruch nicht so zu deuten ist, dass Pflegefamilien nicht mehr als Pflegefamilien geeignet sind, weil sie zusätzliche ergänzende Hilfen zur Erziehung brauchen.

Problematisch finden wir, dass für ambulante Hilfen in der Pflegefamilie der Sorgeberechtigte der Leistungsempfänger ist. Wir möchten, dass ambulante Hilfen zur Erziehung (in der Pflegefamilie) auch durch die Alltagssorge erfasst werden, bzw. die Pflegefamilie selbst leistungsberechtigt wird.

Die Formulierung, dass auch Maßnahmen nach § 13 eingeschlossen werden können, finden wir gut. Es darf aber nicht dazu führen, dass Hilfen zur Erziehung in einer Pflegefamilie mit Maßnahmen nach § 13 Absatz 3 Satz 1 ersetzt werden.

Das Poolen von Leistungen im Kontext von Bildung halten wir für dringend geboten. Somit können Exklusionsprozesse im Klassenzimmer (oder Seminarraum) verhindert werden. Das Poolen von Leistungen ist ein Schritt in Richtung inklusiver Kinder- und Jugendhilfe. Mit der Einschränkung, „soweit dies dem Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall entspricht“, sollte es möglich sein, Missbrauch zur Kosteneinsparung zu verhindern.

Den Gedanken aus § 37c –Absatz 3 insbesondere Satz 2 würden wir gern auch in § 27 verankert sehen. In der jetzigen Form unterstützt es eine Leseart, dass es bei den ambulanten Hilfen kein Wunsch- und Wahlrecht gäbe.

§§ 36, 36a, 36b Mitwirkung Hilfeplanung (Nr. 24-26)

Die Verpflichtung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe, Personensorgeberechtigte sowie Kinder und Jugendliche in einer für sie „wahrnehmbaren Form“ zu beraten, ist wichtig und notwendig und wird von uns unterstützt. Der Grundgedanke der Partizipation ist nur umsetzbar, wenn sichergestellt ist, dass die Leistungsadressatinnen und -adressaten die Beratungsinhalte verstehen können. Das schließt zwingend auch Dolmetscher sowie Gebärdendolmetscher ein. Dies verstehen wir als einen weiteren Schritt in Richtung inklusiver Kinder- und Jugendhilfe.

Geschwister sind für Kinder ihre erste und wichtigste Beziehung unter Kindern. Von daher begrüßen wir ausdrücklich, dass die Geschwisterbeziehung in der Hilfeplanung berücksichtigt wird. In dieser allgemeinen Formulierung schließt das auch die Beziehung zu sozialen Geschwistern ein. Geschwisterbeziehungen sind nicht statisch und sollten im Hilfeverlauf unter dem Aspekt der Veränderbarkeit in den Blick genommen werden.

Bisher sind nicht-sorgeberechtigte Eltern im Rahmen der Hilfeplanung nicht zu berücksichtigen. Die Wut und Trauer, an Entscheidungen für ihr Kind ausgeschlossen zu sein, führt auch zu Prozessen vor den Familiengerichten, die nicht unbedingt kindeswohldienlich sind. Aus dieser Sicht begrüßen wir die Aufforderung, auch nicht-sorgeberechtigte Eltern an der Hilfeplanung zu beteiligen.

Für problematisch halten wir allerdings eine Leseart, bei der Beteiligung lediglich in Form von Anwesenheit gedacht wird. Wir halten es nicht für kindeswohldienlich, wenn jetzt bei jedem Hilfeplangespräch alle zu Beteiligenden gleichzeitig an einem Tisch sitzen. Hier sehen wir für die Praxis einen dringenden Fortbildungsbedarf, wie Beteiligung asynchron realisiert werden kann, ohne dass die Rückinformation auf der Strecke bleibt.

Die Planung von Zusammenarbeit beim Zuständigkeitsübergang zu anderen Sozialleistungsträgern finden wir gut und wichtig. Dennoch sollte sichergestellt werden, dass diese Regelung nicht zur Abschiebung junger Menschen in andere Sozialleistungssysteme verwendet wird. Wir haben schon jetzt einen Verschiebebahnhof in Richtung Eingliederungshilfe bei jungen Menschen, auch wenn die zu leistende Hilfe der Persönlichkeitsentwicklung dient. Auch ein Abschieben in die Sozialhilfe von jungen Erwachsenen, die noch in ihrer Pflegefamilie leben, können wir auch schon jetzt beobachten. Dringend sollte wenigstens in der Kommentierung deutlich werden, dass Hilfen nach § 41 nicht durch diese ersetzt werden sollen.

Zusammenarbeit und Unterstützung (§§ 37 ff) Nr. 27

Ausdrücklich begrüßen wir den Rechtsanspruch auf Beratung für Eltern, deren Kind in einer Pflegefamilie (oder einer Form der Heimerziehung) lebt. Vor allem die Pflegefamilienverbände wissen, dass Eltern, die in ihren Bemühungen ernst genommen werden und Unterstützung erfahren, ihr Kind beim Aufwachsen unterstützen können, auch wenn sie nicht den Alltag mit ihm teilen. Kinderschutz heißt in diesem Sinne auch, Kinder vor Loyalitätskonflikten zu schützen, indem man den Eltern hilft.

In den §§ 37 ff folgt der Referentenentwurf den Ergebnissen aus dem Dialogprozess „Mitreden-Mitgestalten“. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen allerdings, dass in den § 37c auch die Art der Beratung (etwa durch einen bestimmten spezialisierten freien Träger) in den Hilfeplan aufgenommen werden muss, damit hier die Kontinuität für Eltern und Pflegeeltern gesichert wird. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass die Rechtsprechung den Pflegeeltern und damit sicher auch den nicht sorgeberechtigten Eltern kein Wunsch- und Wahlrecht aus § 5 SGB VIII zugesteht (vgl. OVG Münster 08.05.2018 – 12 A 1434/16, grds. bestätigt von BVerwG 05.12.2018 – 5 B 30/18).

Besonders die vordergründige Verpflichtung der Jugendhilfe, bei Meinungsverschiedenheiten zu vermitteln, finden wir wichtig und bedeutungsvoll. Streitende Eltern vor Familiengerichten bewirken nicht selten bei den Kindern Loyalitätskonflikte. Die Zielstellung der Vermittlung „zum Wohle des Kindes“ verstehen wir auch als Aufforderung an die sozialen Dienste wie ASD und PKD.

Die Installierung von Schutzkonzepten in der Pflegekinderhilfe verstehen wir nicht als Generalverdacht gegenüber den Pflegefamilien. Mit Schutzkonzepten kann dem Bedürfnis von Pflegekindern nach Schutz, Beteiligung und Förderung entsprochen werden. Prinzipiell sind Schutzkonzepte immer in dieser Komplexität zu verstehen.

Die Pflegefamilienverbände unterstützen den Gedanken, dass der jeweils aktuelle Stand der Perspektivplanung im Hilfeplan dokumentiert wird. So lässt sich nachverfolgen, ob und wie Hilfen wirken.

Die Adoptionsoption sollte nicht dazu führen, dass Pflegeeltern, die schon lange mit einem Pflegekind zusammenleben, dazu genötigt werden. Vor allem bei Kindern mit Behinderungen ist eine Adoption häufig keine Option für Pflegeeltern. Das hat nichts mit der Bindungsqualität oder dem Engagement für das Kind zu tun. Vielmehr entsteht durch die Volladoption eine erhebliche lebenslange wirtschaftliche Verpflichtung. Wenn im Falle der Adoption der unkalkulierbaren Kostenheranziehung für Pflege und Unterbringung des dann erwachsenen Adoptivkindes gesetzlich Einhalt geboten würde, wäre hier sicherlich auch eine andere Haltung zur Adoption denkbar.

Im Kontext zu Adoption sollte überprüft werden, ob es im Familienrecht fachliche Kriterien gibt, wann eine Ersetzung der Einwilligung dem Kindeswohl dient. Hier haben wir bundesweit sehr unterschiedliche Auslegungen.

§§ 41, 41a Hilfen für junge Volljährige, Nachbetreuung (Nr: 28 und 29)

Der Begriff der Persönlichkeitsentwicklung im Kontext zu Lebensführung ist so allgemein, dass eine Vielzahl von noch zu bewältigenden Entwicklungsschritten damit umfasst ist. Der Abschluss von Bildungsgängen sollte auf alle Fälle auch gemeint sein. Wir begrüßen den damit geschaffenen verpflichtenden Charakter („muss“) der Leistungen nach § 41 SGB VIII. Die nachgehende Beratung als „Geh-Struktur“ der Jugendhilfe finden wir angemessen.

Klargestellt werden sollte auf alle Fälle, dass auch für junge behinderte Volljährige, die noch Entwicklungsbedarf im Bereich Persönlichkeitsentwicklung haben, die Jugendhilfe zuständig bleibt. Es darf nicht sein, dass behinderte junge Menschen mit dem 18. Lebensjahr in die Eingliederungshilfe abgeschoben werden.

Der 15. Jugendbericht der Bundesregierung weißt eindeutig darauf hin, dass junge Menschen oft erst mit Mitte Zwanzig ihr Elternhaus verlassen. Deshalb ist es unverständlich, warum der generelle Anspruch auf Hilfen für junge Volljährige schon mit 21 enden soll. Ein Bezug auf das 23. oder 25. Lebensjahr würde den Erkenntnissen aus dem 15. Jugendbericht besser entsprechen.

Für die Pflegeeltern, die junge erwachsene Pflegekinder in ihrem Haushalt weiter betreuen und unterstützen, muss auch die Beratungspflicht durch den Träger der Jugendhilfe weiter gelten. In § 41 Absatz 2 muss der Bezug zu § 37a mit aufgenommen werden.
Im § 41a Absatz 2 Satz 2 sollte der öffentliche Träger auch freie Träger damit beauftragen dürfen.

§ 50 Mitwirkung vor den Familiengerichten (Nr. 36)

Nicht selten erleben wir als Pflegefamilienverbände, dass Kinder öfter in Obhut genommen werden. Sie kommen zurück in ihre Familie und ein halbes Jahr später geschieht die nächste Inobhutnahme. So haben einige Kinder schon sehr oft neue Lebensorte erlebt, ehe sie in einer Pflegefamilie (oder einer Form der Heimerziehung) als Hilfe zur Erziehung leben dürfen. In die Prozesse vor den Familiengerichten zu Verfahren nach §§ 1666 und 1666a sollten dringend Informationen zu den bisherigen Lebensorten des Kindes oder bisher gewährte, aber nicht ausreichende ambulante Hilfen einfließen. Kinder haben ein Recht auf Sicherheit. Das hin- und her-switchen zwischen unterschiedlichen Lebensorten (Familie – FBB/Clearingstelle – Familie – nächste FBB oder andere Clearingstelle – …) ist nicht förderlich für die Entwicklung eines Kindes zu einer „eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 SGB VIII).

In Verfahren zu den §§ 1632 (4) und 1696a, 1697 sind ebenfalls zwingend Informationen zur bisherigen Lebensgeschichte und über bisherige Lebensorte des Kindes notwendig. Auch zu bisher gewährten Hilfen und ob bzw. wie diese angenommen wurden, gehören zu entscheidungsrelevanten Informationen. Diese Informationen aus dem Hilfeplan sollten den Familiengerichten zur Verfügung stehen.

Familiengerichte sollen auf der Basis eines ärztlichen Gutachtens entscheiden können, ob Maßnahmen nach § 1631b angewendet werden dürfen. Qualifizierte Informationen aus dem bisherigen Hilfeverlauf können für solche Entscheidungen bedeutsam sein. Das wird in den wenigsten Fällen die Hilfeplan-Akte des Jugendamtes sein. Diese folgt einer anderen Logik.

Kontinuität bei Amtsvormundschaft § 87c

Wir finden es schade, dass im § 87c die zwingende Verpflichtung der Amtsvormundschaft zur Antragstellung auf Entlassung aus der Vormundschaft bei Wohnortwechsel des Mündels geblieben ist. Hier hätten wir uns eine weichere Formulierung gewünscht, die es dem Amtsvormund ermöglicht die Vormundschaft zum Wohle des Kindes/Jugendlichen weiterzuführen. Zum anderen muss besonders bei Kindern mit Behinderung geschaut werden, welche Fachkenntnisse der Vormund hat. Wir vermissen die deutliche Anforderung an die Fachkompetenz für Kinder und Jugendliche mit Behinderung.

Kostenheranziehung § 94 (Nr. 54)

Die Herabsetzung der Kostenheranziehung von 75 % auf höchstens 25 % ist ein wichtiger Schritt, um die Motivation junger Menschen auf eine Ausbildung zu stärken. Schade, dass das eindeutige Votum der Anhörung im Familienausschuss des Bundestages zur Abschaffung der Kostenheranziehung vom 09.03.2020 nicht berücksichtigt wurde. Der Verzicht auf Kostenheranziehung aus dem Vermögen junger Volljähriger, die in Pflegefamilien oder Formen der Heimerziehung leben, ist notwendig und richtig.

Jugendhilfeausschuss § 71 (Nr. 39)

Die Einfügung des neuen Absatz 2 finden wir einen wichtigen und richtigen Schritt, um die Partizipation auch auf dieser Ebene zu verankern. Die Formulierung im Absatz 2 darf aber nicht dazu führen, dass Vertreter*innen der „selbstorganisierten Zusammenschlüsse“ von dem Personenkreis aus § 71 Absatz 1 Nr. 2 ausgeschlossen werden.

Kinder- und Jugendhilfestatistik

Obwohl die Hilfen nach §§ 33 und 34 als zeitlich befristet oder als längerfristige Hilfe angelegt sind, ist es bisher nicht möglich, in der Statistik eine Unterscheidung nach der zeitlichen Perspektive der Hilfe abzubilden. Somit werden die statistischen Angaben zur durchschnittlichen Dauer der Hilfen stark verfälscht.

Weitere Bemerkung zu SGB VIII

Wir hätten uns gewünscht, dass der Begriff „Hilfe zur Erziehung“ in „Hilfe zur Erziehung und Teilhabe“ gewandelt wird und somit deutlicher gesagt wird, dass bei einem Kind mit einer Behinderung nicht immer die Erziehungskompetenz der Eltern zum Hilfeersuchen führt, sondern die Behinderung und damit verbundene komplexe Anforderungen an Teilhabe und spezielle Förderung der Grund sein können. Bei Kindern mit besonderem Förderbedarf spielen andere Faktoren eine Rolle, die zu Überforderung des familiären Systems führen können.

Weiterhin ist es schade, dass die gesamte Problematik der örtlichen Zuständigkeit sowie der jeweiligen Gerichtsbarkeit nicht in den Blick genommen wurde.

Gerichtsbarkeit

Leider gibt es keine Klärung zur Aufteilung der Leistungsberechtigten und der Antragssteller zwischen SGB VIII und SGB IX/XII. Wie werden hier die Schnittstellen im Verständnis der leistungsberechtigten Person überwunden? Ebenso stellt sich immer noch die Frage der Gerichtsbarkeit zwischen einzelnen Trägern sozialer Leistungen. Es ist nicht deutlich, wann das Verwaltungsgericht und wann das Sozialgericht fallbezogen zuständig ist.

Wir möchten das am aktuellen Beispiel der Pflegeerlaubnis in §80 SGB IX verdeutlichen: Einer Pflegefamilie wird die Pflegeerlaubnis verwehrt, weil das Jugendamt die Zuständigkeit verweigert, aber die Eignung der Familie nicht in Frage stellt. Nun möchte die Pflegefamilie die Pflegeerlaubnis einklagen. Das Verwaltungsgericht verweist auf das SGB IX, § 80 und somit auf das Sozialgericht und umgekehrt. Das wird sich auch bei Leistungen mehrerer Leistungsträger immer wieder ergeben, da die eigentliche Fallführung bei Kindern mit Behinderung in Pflegefamilien unklar bleibt. Hier bedarf es klarer Richtlinien.

Änderungen im BGB

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass das Recht des Kindes auf Kontinuität seines Lebensortes im Referentenentwurf (BGB § 1632 Absatz 4 – KJSG Artikel 6 Nr. 1) aufgenommen wurde. Unverständlich ist allerdings folgende Formulierungen: im BGB § 1632 Absatz 4 Nr. 1 “mit hoher Wahrscheinlichkeit“. Obwohl Bezug genommen wird auf die Formulierung in § 37c Absatz 2, findet sich ein derartig unbestimmter Rechtsbegriff dort nicht. Die in der Kommentierung angelegte Interpretation als „Vorrang öffentlicher Hilfen zur Erziehung“ (S. 148) ist nicht untersetzt. Hier ist ein großer Spielraum für die Rechtsprechung aufgemacht, der die Sicherung des Lebensortes für Kinder, die in ihrer Pflegefamilie psychisch verortet sind, untergraben kann. Der § 1632 Absatz 4 Satz 2 Nr. 2 BGB erfordert eine positive Kindeswohlprüfung.

Die Regelung im BGB § 1696 Absatz 3 widerspricht dem Regelungsgehalt des § 1632 Absatz 4. Die Rechte eines Kindes werden mit Füßen getreten, wenn eine Aufhebung der Verbleibensanordnung und die Herausnahme aus der Pflegefamilie sogar dann realisiert werden soll, wenn dadurch das Kindeswohl unmittelbar gefährdet würde und diese Kindeswohlgefährdung durch zusätzliche (ambulante) Hilfen abgewendet werden könnte.

Durch eine solche Regelung wird die Möglichkeit der Verbleibensanordnung infrage gestellt.
Die aktuelle Praxis zeigt, dass für Kinder mit Behinderungen der „Verweis auf ambulante Hilfen“ tödliche Folgen haben kann. Ambulante Pflegedienste können keinen Kinderschutz gewährleisten und auch eine SPFH ist nicht unmittelbar verfügbar, wenn sofort Probleme zu lösen sind (zum Beispiel Gewalt oder Vernachlässigung durch aktuelle Suchtproblematik der Eltern).

Um für Kinder ihr Bedürfnis nach Stabilität und Kontinuität im BGB ausreichend zu berücksichtigen, muss ihr Wohl bei der Entscheidung über die Aufhebung einer Verbleibensanordnung im Mittelpunkt stehen. Die Schwelle hier bei einer Gefährdung des Kindeswohls anzusetzen, statt einer positiven Kindeswohlprüfung, führt erneut zu Verunsicherung und Kontinuitätsverlust für diese Kinder. Außerdem vermissen wir einen deutlichen Bezug auf § 1626 Absatz 2 BGB. Der Wille des Kindes muss nachvollziehbar in die Entscheidungsfindung einfließen.

Die BiP fordert: Eine Verbleibensanordnung darf nur aufgehoben werden, wenn dies dem Kindeswohl entspricht.

Literatur:
– Münder, Meysen, Trenczek 2019: Frankfurter Kommentar SGB VIII 8. Auflage Nomos Verlag
– Hauck SGB VIII, (Erich Schmidt Verlag),
– 15. Jugendbericht der Bundesregierung, https://www.bmfsfj.de/blob/115438/d7ed644e1b7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf (zuletzt aufgerufen 21.10.2020)

Hier gibt es die BiP-Stellungnahme zum KJSG-Entwurf als PDF [169 KB].

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