BbP feiert 40 Jahre mit Festwochenende in Haltern am See – Erstmals Selbstvertretungsrat gegründet
Haltern am See. (ges) Mit rund 140 Teilnehmern aus ganz Deutschland, darunter 53 Kindern, hat der Bundesverband behinderter Pflegekinder e.V. über Pfingsten 2023 sein 40-jähriges Bestehen gefeiert. Teil des Familienfestes im Könzgen-Haus in Haltern am See war ein Festakt mit zahlreichen Grußworten und Glückwünschen. Darüber hinaus gründete sich erstmals ein Kinder- und Jugendrat als Selbstvertretungsgremium. Geschäftsstellenleiterin Rita Leser wurde mit der BbP-Verdienstmedaille ausgezeichnet. Die frühere Vorsitzende Birte Wiebeck erhielt die Ehrenmitgliedschaft.
40 Jahre Einsatz für besondere Kinder
„Uns Pflegeeltern wird im Moment unwahrscheinlich viel abverlangt“, betonte die BbP-Vorsitzende Kerstin Held zur Eröffnung der Jubiläumsfeier mit rund 70 Gästen an Pfingstsonntag. „Wir müssen Mangelwirtschaft und Pflegenotstand kompensieren, nicht selten entstehen dabei für die Kinder existenziell bedrohliche Situationen.“ Besonders Pflegeeltern von Kindern mit Behinderung füllten nebenbei zahlreiche weitere Rollen aus, die weit über die eigentliche Versorgung der Kinder hinausgingen. „Dann beanspruche ich für meine Kinder Betreuung, weil ich noch Widersprüche schreiben muss – dabei sollte es doch eigentlich umgekehrt sein: Die Kinder müssen im Mittelpunkt stehen.“
In einer von Rainer Schmidt ebenso kurzweilig wie humorvoll moderierten Veranstaltung kamen zahlreiche Gratulanten zu Wort, teils persönlich, teils in vorgelesener Form. „Alle Grußworte drücken Empathie, Wertschätzung und Wegbegleitung aus“, freute sich Kerstin Held. Auch langjährige Pflegeeltern und Pflegekinder meldeten sich – teilweise spontan – zu Wort und äußerten Lob oder Begeisterung.
Ludwig Schulenkorf etwa – mit seiner Partnerin Anne Kuhlemann seit 35 Jahren Mitglied im Verband – erinnerte an die Anfangszeit: „Es war damals gar nicht üblich, dass Kinder mit Behinderung in Pflegefamilien aufwachsen durften. Meist verschwanden diese Kinder in Heimen und kamen nur nach Kampf mit den Ämtern wieder raus.“ Dass hier inzwischen ein Bewusstseinswandel stattgefunden habe, sei den Gründungsmitgliedern und allen Mitstreitern seither zu verdanken. „Alle Pflegefamilien haben daran einen Anteil.“
Für den Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (bvkm), einen der Dachverbände des BbP, sagte dessen Vorsitzende Beate Bettenhausen: „Sie öffnen Ihre Familien, Ihr Haus, Ihr Herz für ein Kind mit Behinderung. Das bedarf sehr viel Mut und verdient größten Respekt und Bewunderung.“ Aus einer kleinen Keimzelle sei in 40 Jahren „etwas richtig Großes“ geworden.
Dr. Annette Mund, Vorsitzende des Kindernetzwerks e.V., eines anderen BbP-Dachverbands, schrieb: „Die meisten Eltern lieben ihre Kinder bedingungslos, aber nicht alle sind in der Lage, die Pflege eines behinderten Kindes zu stemmen. Was für ein ungeheures Glück, dass hier der Bundesverband behinderter Pflegekinder aushelfen kann.“ Gäbe es diesen Verband nicht, müsste man ihn dringend erfinden, „denn Kinder brauchen unser aller Fürsorglichkeit und Schutz und behinderte Kinder brauchen diese noch mehr.“ Der BbP sei „einer unserer aktivsten und kompetentesten Mitgliedsverbände“, heißt es weiter. „Wir sind stolz darauf, zusammen mit ihm in wichtigen und großen Projekten zusammenzuarbeiten – aktuell im Ringen um die inklusive Lösung.“
[Weitere Grußbotschaften am Ende]
Mitglieder verabschieden neue Satzung
Bei der traditionell ins Familienwochenende integrierten Mitgliederversammlung verabschiedeten die Vereinsmitglieder ohne Gegenstimme eine Neufassung der Satzung. Nachdem das Registergericht den Ablauf der letztjährigen Vorstandswahlen moniert hatte, wurde die Vereinssatzung mit anwaltlicher Unterstützung runderneuert. Die nachgeholten Wahlen zu Vorstand, Beisitzern und Rechnungsprüfern führten zum selben Ergebnis und erbrachten keinerlei Änderungen. Erstmals steht nun online auch eine Fassung der Satzung in vereinfachter Sprache zur Verfügung.
Verdienstmedaille für Rita Leser
Im Oktober 2023 arbeitet Rita Leser genau 25 Jahre in der Geschäftsstelle des BbP, inzwischen als deren Leiterin. „Sie ist die Stimme und das Gedächtnis unseres Verbandes“, würdigte die BbP-Vorsitzende Kerstin Held das herausragende langjährige Engagement der gelernten Verwaltungsfachangestellten und zeichnete Rita Leser mit der Verdienstmedaille des Verbandes aus. Die 54-Jährige lebt mit ihrem Mann Andreas, einem pensionierten Polizeibeamten, in Westoverledingen in der Nähe von Papenburg.
Ehrenmitgliedschaft für Birte Wiebeck
Die frühere Verbandsvorsitzende Birte Wiebeck aus Hamburg wurde zum Ehrenmitglied ernannt. In ihrer Amtszeit von 2009 bis 2014 habe sie „einen Generationswechsel im BbP begonnen“ und erstmals „große Veranstaltungen der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe organisiert“, betonte ihre Nachfolgerin Kerstin Held. Birte Wiebeck, 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, hat bereits sechs Kindern mit ganz unterschiedlichen Behinderungen ein Leben in ihrer Familie ermöglicht. „Jeder von uns macht das von Herzen, aber nicht jeder hat selbst jeden Tag mit einer Behinderung zu kämpfen“, unterstrich Kerstin Held. Mit ihrer Sehbehinderung könne sie zwar keinem Kind hinterherlaufen, aber umso besser kuscheln, sagt Birte Wiebeck selbst von sich.
Bilder für Berlin
Als zweite große Veranstaltung zum 40-Jahre-Jubiläum organisiert der BbP am 27. und 28. Oktober eine Fachtagung mit Festabend für Gäste aus Politik und Fachwelt in Berlin. Um eine Brücke dorthin zu schlagen, entstanden in Haltern verschiedene Bilder, mit denen die Kinder, um die sich alles dreht, in Berlin zumindest stellvertretend anwesend sein können: Zum einen gestalteten die Teilnehmer des Familientreffens – angeleitet von der Künstlerin Jennifer Diekmann aus Münster – Leinwanddreiecke, die zu einem größeren Kunstwerk zusammengesetzt werden. Zum anderen begleitete der Fotograf Roland Breitschuh aus Köln das Wochenende mit seiner Kamera, um ausgewählte Eindrücke ebenfalls in Berlin zeigen zu können.
Weitere Grußbotschaften
Christa Schmitt, ehemalige BbP-Vorsitzende (1999 bis 2009):
„Es ist ein besonderer Tag. So vieles ist in den vergangenen Jahren geschaffen worden. Von der Landes-Ebene hat man es nun wirklich geschafft, sich politisch auch auf Bundes-Ebene geltend zu machen, was sicherlich nicht einfach war und nur mit unendlicher Beständigkeit und Disziplin funktioniert. Dies ist dem Vorstand und ganz besonders auch der Vorsitzenden Kerstin Held und allen Mitstreitern zu verdanken, die an ihrer Seite stehen. Sie alle leisten großartige Arbeit.“
Prof. Dr. Klaus Wolf, Träger der BbP-Verdienstmedaille (2022):
„Sie sind nicht nur für die Kinder, für die Sie ein neues Zuhause geschaffen haben, extrem wichtige Menschen, sondern auch für unsere ganze Gesellschaft ein leuchtendes Vorbild zivilgesellschaftlichen Engagements. […]
Die Stimme des Bundesverbandes und Ihre Anliegen sollten in der Gesellschaft insgesamt und in Politik und Verwaltung unbedingt gehört werden.“
Norbert Müller-Fehling, ehem. Geschäftsführer des bvkm, Träger der BbP-Verdienstmedaille (2018):
„40 Jahre Bundesverband behinderter Pflegekinder ist ein beeindruckender Zeitraum, in dem Sie sich für junge Menschen mit Behinderung engagiert haben, die lange Zeit nicht im Blick der Politik, der Verwaltungen und der Verbände waren. […]
Ihrem Verband ist es zu verdanken, dass jugend- und behindertenpolitische Entwicklungen nicht mehr ohne die Berücksichtigungen der Belange von Pflegekindern mit Behinderung und ihrer Pflegeeltern gedacht werden können. […]
An der Schnittstelle, an der die Jugendhilfe auf die Eingliederungshilfe trifft, kommt dem Verband bei der Transformation hin zu einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe eine besondere Bedeutung zu. Von Ihren Erfahrungen mit beiden Systemen können alle profitieren. Ich bin zuversichtlich, dass Sie sie klug und im Interesse allen Familien, die mit einem Kind mit Behinderung Zusammenleben, einsetzen.“
Josef Koch, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH), Träger der BbP-Verdienstmedaille (2022):
„Die gesellschaftliche Anerkennung und praktische Unterstützung bei der Annahme, Begleitung und Pflege eines Kindes mit Behinderungen hat sich durch Ihre/Eure Arbeit wesentlich verbessert und öffentlich Anerkennung erfahren. […] Herzlichen Glückwunsch zum 40-jährigen Bestehen einer Organisation, die auch Liebe zu Kindern mit besonderen Bedarfen lehrt.“
Prof. Dr. Ludwig Salgo, Vorstandsvorsitzender der Stiftung zum Wohl des Pflegekindes, Träger der BbP-Verdienstmedaille (2022):
„Am Ziel einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe sind wir leider noch lange nicht, schon die 1. und 2. Stufe des Reformprozesses ist noch längst nicht ‚im Trockenen‘. Bis zu einer Gesamtverantwortung der Kinder- und Jugendhilfe für
behinderte Pflegekinder (3. Stufe) und für ihre Pflege- wie Herkunftsfamilien liegt noch ein langer Weg vor uns.
Es ist noch nicht ausgemacht, ob, wie und bis wann dieses große Ziel wirklich erreicht wird, sicher ist jedoch:
– Ohne Ihren Bundesverband, ohne Ihre beispielgebenden, unermüdlichen und vielfältigen Aktivitäten wird es nicht
gelingen!“
Gerhard Roos, ehem. BbP-Vorsitzender (1990-1997) und Ehrenmitglied:
„Allen Anwesenden, Klein und Groß, wünsche ich in Haltern ergötzliche Tage mit ordentlichem Erinnerungswert!
Ihr, Euer Verbands-Opa Gerhard Roos“
Und hier geht’s zum Bericht über unsere Jubiläumsfachtagung Ende Oktober 2023 in Berlin.