Laudatio Deutscher Engagementpreis 2018

Die Laudatio der Schauspielerin Saskia von Winterfeld

bei der Verleihung des Deutschen Engagementpreises am 5. Dezember 2018 in Berlin

Liebe Preisträgerinnen, sehr geehrte Damen und Herren,

der Bundesverband behinderter Pflegekinder erhält den Preis in der Kategorie „Grenzen überwinden“.

Sie, die Eltern behinderter Pflegekinder, haben täglich Grenzen zu überwinden. Praktische Hürden im Alltag. Bürokratische Grenzen, die nur mit Hilfe der Politik zu überwinden sind und die dringend überwunden werden müssen. Doch die Politik handelt nur, wenn sie einen klaren gesellschaftlichen Willen spürt. Und Sie, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, erfahren oft auch die Grenzen im Denken dieser Gesellschaft.

Liebe Frau Held – Sie haben davon berichtet, wie es war, als Sie ihren ersten Pflegesohn in Ihrer Familie aufgenommen haben. Sie wurden gefragt, warum Sie das tun – der Junge wäre doch im Heim besser aufgehoben.

Aber stimmt das? Wären die Kinder wirklich „besser aufgehoben“, wo sie sicher ein hübsches Zimmer, therapeutische Anwendungen und gutes Essen bekommen, aber nicht die Geborgenheit in einer Familie? Warum sind nicht wenige Menschen so schnell zur Stelle mit dem Argument, dass die Infrastruktur eines Heims für ein behindertes Kind geeigneter sein könnte als ein Zusammenleben mit Eltern und Geschwistern?

In diesem Argument werden die Grenzen sichtbar, die wahrscheinlich wir alle gleich im Kopf haben, wenn wir uns – nur für einen Augenblick – ganz konkret vorstellen, wie unser Leben aussähe, wenn wir ein körperlich oder geistig eingeschränktes Kind in unserer Familie haben. Gerade in unserer Zeit, in der Selbstverwirklichung und Leistungsoptimierung die Lieblingskinder des Zeitgeistes sind. Auf allen Plakaten und Bildschirmen werden sie uns als das schönste Ziel angepriesen. Jeder kennt den Slogan:„Unterm Strich zähl ich“. Und auch viele Kinder werden früh zum Leistungsdenken erzogen und fit für die Arbeitswelt gemacht. Die Frage, welche menschlichen, sozialen Kompetenzen ein Kind erwerben soll, erscheint weniger dringend als die Frage, was das Kind können muss, welche Tests es bestehen muss, wie es dafür pauken muss. Und manchem erscheint die Zukunft eines Kindes ernsthaft gefährdet, wenn es nicht vor der Einschulung zumindest Grundkenntnisse in Chinesisch vermittelt bekommt.

In dieser Zeit, liebe Preisträgerinnen, ist Ihr Engagement ein Zeichen.

Die Pflegefamilien und ihre Kinder zeigen uns allen, dass es um etwas anderes gehen kann als um Leistungsoptimierung. Dass Leben Miteinander bedeutet, Verbundenheit, Solidarität, Liebe. Sie zeigen uns, dass wir Kinder nicht optimieren müssen, sondern vor allem für sie da sein sollten. Denn alle Kinder verdienen unsere Zuwendung, einfach weil sie da sind.

Das sehen wir durch Ihre Arbeit, liebe Preisträgerinnen. Es ist ein wichtiges Zeichen. Es ist auch ein mutiges Zeichen. Es ist ein bewegendes Zeichen. Denn Sie überwinden die Grenzen, in denen die Mehrheit dieser Gesellschaft denkt und handelt.

Im Film klingt an, wie weit der Weg noch ist. Sie, Frau Held, sagen: „Solange wir den Begriff Inklusion brauchen, gibt es sie nicht.“ Deshalb fordern Sie zu Recht tiefgreifende Veränderungen hin zu einer selbstverständlichen Teilhabe.

Eben dazu braucht es einen Mentalitätswandel. Denn solange unsere Priorität Leistungsfähigkeit und Ich-Optimierung ist, müssen die weniger leistungsfähigen Menschen immer inkludiert werden. Nur in einer Gesellschaft, die sich selbst – neben anderen wichtigen Dingen – durch das Miteinander und die Solidarität definiert, können alle selbstverständlich dazugehören.

Wir müssen Grenzen überwinden. In unseren Köpfen, in unseren Herzen. Das ist der Auftrag an uns, der mit diesem Preis einhergeht – an mich, an Sie im Publikum, an alle.

Ich wünsche Ihnen, dem Bundesverband behinderter Pflegekinder, dass dieser Preis Ihnen Rückenwind gibt. Rückenwind für das Ziel, den Begriff Inklusion überflüssig zu machen. Rückenwind auch für Ihre konkreten politischen Anliegen:

  • Dass die besonderen Bedürfnisse Ihrer Kinder gesetzlich stärker berücksichtigt werden.
  • Dass die Politik zum Beispiel anerkennt, dass Ihre Pflegeverhältnisse meist nicht schlagartig mit der Volljährigkeit enden können, dass es also auch Hilfen für Kinder mit Behinderung im jungen Erwachsenenalter braucht.

Diese Liste ließe sich fortsetzen.

Wie aber die Politik schon jetzt von ihrem Engagement konkret profitiert, sehen wir bei der Vermittlung von Pflegekindern an Familien. Wenn die zuständigen Jugendämter in ihren regionalen Karteien niemanden finden, wenden sie sich an unsere heutigen Preisträgerinnen und ihr Netzwerk. Ohne Ihr Engagement würden heute weit weniger Kinder in einer Familie leben.

Insbesondere ist der Preis auch eine Würdigung für die Gemeinschaft, die der Verband den Eltern bietet. Er gibt in schwierigen Situationen Halt. Sie, liebe Frau Timmermann, leiten etwa bei den jährlichen Familien-Treffen die Stunde der Erinnerung – diese Stunde ist den Kindern gewidmet, die nicht mehr da sind. Zusammen lässt sich ein solcher Verlust besser bewältigen.

Der Bundesverband behinderter Pflegekinder ermöglicht es Kindern, mehr als nur professionell versorgt zu werden. Die Kinder werden in einer Familie angenommen. Als Menschen, die geliebt werden. „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit!“ – Was für ein wunderbares Motto für eine wunderbare Arbeit!

Liebe Frau Held, liebe Frau Timmermann, ich glaube, wir sprechen heute vielen glücklichen Kindern aus dem Herzen, wenn wir Ihnen stellvertretend für den gesamten Bundesverband „Danke“ sagen. Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Engagementpreis 2018!

Ich bitte Sie nun beide auf die Bühne.

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